Ist der Heimvorteil auch im Tischtennis von Bedeutung?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir die zwei vergangenen NLA Saisons der Männer und Frauen analysiert. Klar ist, dass viele Faktoren zusammenspielen.
Text: Luca Anthonioz / Foto: René Zwald
Im Sport kann es einen grossen Einfluss auf das Endresultat haben, ob man zuhause oder auswärts spielt. Heimspiele sind normalerweise aus mehreren Gründen ein Vorteil. Engagiertes Publikum und dadurch höhere Motivation sind vermutlich die Wichtigsten. Fabrice Dosseville, ein Sportpsychologe, äusserte sich dazu in einem Interview im Mai 2017:« Die Unterstützung von aussen verändert die Wahrnehmung von Müdigkeit und treibt uns dazu, näher an die Grenzen zu gehen. Neben der erhöhten Motivation haben Studien gezeigt, dass bei denjenigen, die zuhause spielen, ein Anstieg des Testosteronspiegels zu verzeichnen ist. Ein Hormon, das es ihnen ermöglicht, ausdauernder und körperlich fitter zu sein.» Zusätzlich gibt es noch zwei weitere Vorteile: Perfekte Kenntnisse der Bedingungen und Müdigkeit bei den Gegnern nach deren Anreise.
Natürlich können gewisse Faktoren auch einen negativen Einfluss haben. Es ist nicht selten, dass Mannschaften aufgrund des Zuschauerdrucks zuhause versagen. Gerade in Einzelsportarten wie dem Tischtennis kommt dies häufiger vor. Dennoch haben alle Studien und Statistiken über die Jahrzehnte hinweg einheitlich gezeigt, dass es von Vorteil ist, zuhause zu spielen. Ist diese Aussage auch im Tischtennis gültig?
Um eine Antwort zu finden, haben wir die persönlichen Resultate von 28 Männern und 20 Frauen aus den NLA Saisons 2018-2019 und 2019-2020 analysiert. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, haben wir nur jene berücksichtigt, die mindestens 50% der Spiele der Saison bestritten haben.
Während der Saison 2019-2020 ist der Befund bei den Männern eindeutig: 22 Spieler haben eine bessere Bilanz, drei Spieler haben eine ausgeglichene Bilanz zuhause-auswärts. Nur drei Spieler (Cédric Tschanz, Ross Wilson, Farid Saidi) haben auswärts bessere Resultate erspielt. Diese Statistik zeigt, dass zuhause spielen für fast alle NLA-Spieler ein Vorteil ist. Wir können sogar noch weiter gehen, indem wir die Analyse vertiefen. Wir untersuchen das Team aus Lugano mit deren drei Spielern: Simone Spinicchia. Csaba Molnar und Philip Merz. Die Mannschaft ist bekannt dafür, unter sehr atypischen Bedingungen, mit SAN-EI-Tischen (die einzige Mannschaft mit solchen Tischen) und XUSHAOFA***-Bällen zu spielen. Damit einen kurzen Aufschlag zu servieren, wird zu einer veritablen Herausforderung. Aber was sagen die Bilanzen der drei Spieler? Spinicchia hat 94.7% seiner Spiele zuhause gewonnen und «nur» 50% auswärts. Molnars Bilanz ist 75% zu 30% und die von Merz 46.7% zu 25%. In der gesamten Liga sind Spinicchia und Molnar die zwei Spieler mit der grössten Differenz zwischen zuhause und auswärts. Aus diesen Zahlen können wir folgende Schlüsse ziehen:
- Lugano ist eine fast uneinnehmbare Festung
- die äusserlichen Bedingungen spielen eine wichtige Rolle, gerade wenn sie sehr aussergewöhnlich sind (z.B SAN-EI-Tische)
- Lugano hat dafür Schwierigkeiten bei Auswärtsspielen
Bei den Frauen hingegen zeigen die Untersuchungen eine beinahe perfekte Ausgeglichenheit. 9 Spielerinnen haben zuhause eine bessere Bilanz, bei 8 Spielerinnen ist es genau umgekehrt und eine Spielerin hat eine neutrale Bilanz zwischen zuhause und auswärts. Sind die Frauen also weniger abhängig von den Hallenbedingungen? Werden sie dafür stärker beeinflusst vom Druck des Publikums? Oder ist einfach alles nur Zufall? Dieses etwas überraschende Resultat hat uns dazu gebracht, uns auch die Ergebnisse der Saison 2018-2019 anzuschauen. Dort hatten von 20 Spielerinnen zwei eine neutrale Bilanz, 13 eine Bessere zuhause und 5 eine Bessere auswärts. Diese Ergebnisse würden die Annahme des Heimvorteils wieder eher bestätigen. Dennoch ist der Trend viel weniger ausgeprägt als bei den Männern.
Folgende Frage hat sich uns gestellt: Ist der Heimvorteil bei den Männern immer so wichtig? In der Saison 2018-2019 hatten 17 Spieler eine bessere Bilanz zuhause, 10 auswärts und jemand hatte eine ausgeglichene Bilanz. Dieses Resultat ist zwar weniger deutlich als in der Saison 2019-2020, dennoch ist die Tendenz die Gleiche. Eine weitere Aussage wird ebenfalls durch den Blick auf die Saison 2018-2019 bestätigt. Wer ist der Spieler mit dem grössten Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspielen? Csaba Molnar. Der Luganese hat sämtliche Spiele zuhause gewonnen (15/15), konnte aber auswärts nur etwas mehr wie die Hälfte seiner Partien für sich entscheiden. (10/19) Ein weiterer Beweis dafür, dass die äusserlichen Bedingungen eine wichtige Rolle spielen können.
Wir können aus den Analysen schliessen, dass der Vorteil, zuhause zu spielen, im Tischtennis sowohl für Frauen als auch für Männer tatsächlich Realität ist. Dieser Vorteil ist wahrscheinlich nicht immer so wichtig wie er es in der Saison 2019-2020 bei den Männern war, aber er ist dennoch existent. Wir haben gesehen, dass physiologische und psychologische Aspekte eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen und auch die Hallenbedingungen einen Einfluss haben. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass die äusserlichen Bedingungen eines Clubs von hoher Bedeutung sein können.
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