Spielstil

Ma Long / WTT MacaoDie zunehmende Wichtigkeit der Rückhand im modernen Tischtennis

Tischtennis hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Auch wenn Veränderungen auf materieller Ebene ebenfalls neuen Schwung ins Tischtennis gebracht haben, sind dennoch vor allem die Entwicklungen im Spiel interessant anzuschauen. So hat zum Beispiel die Rückhand stark an Bedeutung gewonnen.

 

Text: Luca Anthonioz / Fotos: ITTF

 

Bevor wir klären, wie und warum die Rückhand so wichtig geworden ist, werden wir unsere Behauptung kurz anhand von Beispielen untermauern. In der Vergangenheit hat sich die Mehrheit der Spieler hauptsächlich auf ihre Vorhand verlassen. Dies war die Stärke von grossen Spielern wie Ma Lin, Wang Liqin, Ryu Seungmin, Jean-Philippe Gatien und vielen anderen. Spieler wie der Grieche Kalinikos Kreanga, deren Stärke die Rückhand war, waren recht selten.

 

Heute braucht man nur einen Blick auf die Top 10 der Welt zu werfen, um festzustellen, dass sich dies geändert hat. Die Stärke von Tomokazu Harimoto, Hugo Calderano und Mattias Falck ist ihre Rückhand. Diejenige von Xu Xin und Ma Long ihre Vorhand. Bei Fan Zhendong, Lin Gaoyuan, Lin Yun-Ju, Liang Jingkun und Timo Boll ist der Unterschied zwischen der Stärke ihrer Rückhand und der der Vorhand weniger ausgeprägt. Darüber hinaus sind drei von ihnen Linkshänder, was die Bedeutung der Rückhand nochmals verändert, da zwischen zwei Rechts- oder zwei Linkshändern meist diagonal gespielt wird. Im Allgemeinen zeigt sich also definitiv eine grössere Ausgeglichenheit als früher.

 

Als weiteres Beispiel können wir auch die fünf derzeit besten europäischen Spitzenspieler (Falck, Boll, Ovtcharov, Pitchford und Franziska) anschauen. Bis auf Timo Boll haben dort alle ihre Stärke eher auf der Rückhandseite. Dies gilt auch für den aufsteigenden Stern des europäischen Tischtennissports, den Slowenen Darko Jorgic, Finalist der Top16 in Montreux im Jahr 2020.

 

Darko Jorgic / Men's World Cup

 

In der Einleitung haben wir über Änderungen im Materialbereich gesprochen. Eine davon ist die Einführung des Plastikballs, welcher weniger starke Schnittvariationen zulässt als der ehemalige Celluloid-Ball. Infolgedessen wurden viele Aufschläge wirkungsloser und der Rückhandflip fand seinen Weg in die Tischtennisspitze. Die heutigen Jugendspieler haben ihn fast alle in ihrem Repertoire. Die drei jüngsten Top 10 Spieler der Welt, Fan Zhendong, Tomokazu Harimoto und Lin Yun-Ju im Alter von 23, 17 und 19 Jahren, sind von dieser Entwicklung sehr angetan. Sie haben durch ihren starken Rückhandflip einen zusätzlichen Stich gegen Spieler älterer Generationen. In der Schweiz zeigt sich ein ähnliches Bild. Pedro Osiro (19) und Elias Hardmeier (18), Medaillengewinner im Herren-Einzel an den Schweizer Meisterschaften 2020, haben zwei der besten Rückhandflips der Schweiz, wenn nicht sogar die beiden besten. Sie setzen ihn auch beide sehr häufig ein. Aber warum?

 

Aufschlag zu haben, ist ein unbestreitbarer Vorteil im Tischtennis. Und dennoch ist der Vorteil kleiner geworden in den letzten Jahren. Zunächst einmal gab es eine Umstellung von fünf auf zwei Aufschläge. Und dann sind wie bereits oben erwähnt, weniger starke Schnittvariationen möglich. Dadurch wird es einfacher, mit dem Rückschlag bereits Druck zu machen. Auch die technischen Entwicklungen im Tischtennissports haben zu diesem Wandel beigetragen. Die Bewegungen sind heute viel kürzer als in der Vergangenheit. Dies hat dazu geführt, dass mehr Ballwechsel über die Rückhand und generell über die Diagonalen ausgetragen werden. Die kurzen Bewegungen erlauben es den Spielern, Topspins auch nah am Tisch oder sogar über dem Tisch zu spielen. Dies gilt umso mehr für die Rückhand, da man den Ball vor dem Körper treffen muss und nicht wie bei der Vorhand eher seitlich. Die Erscheinung des Rückhandflips, die kleineren Bewegungen und der Drang zum offenen Spiel sind also die zentralen Entwicklungen im modernen Tischtennis.

 

Rückhandduelle sind im Gegensatz zu früher also viel präsenter. Umgesprungen wird zwar immer noch, da das Spiel aber durch den 40 mm Ball langsamer wurde, ist es heute deutlich schwieriger. Sitzt der Schlag nicht einwandfrei, riskiert man, parallel ausgeblockt zu werden. Die letzte Ausgabe des World-Cups 2020, die im November stattfand, hat einmal mehr gezeigt, dass Ballwechsel über die Rückhanddiagonale und generell der Einsatz der Rückhandseite in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Das packende Finale zwischen Fan Zhendong und Ma Long ist ein perfektes Beispiel dafür.

 

Salomé Simonet & Céline Reust / SM Elite 2020 / Credit: René Zwald

 

Auch bei den Frauen hat die Rückhand eine zentrale Bedeutung. Dies war jedoch bereits in der Vergangenheit so. Die Frauen spielten schon immer tendenziell nah am Tisch und mit schnellen, hartgetroffenen Bällen. Sie bevorzugen nach wie vor eher Geschwindigkeit als Spin, während es bei den Männern meist umgekehrt ist.  Mit der zunehmenden Bedeutung der Rückhand dürfte der Unterschied im Spielstil zwischen Männern und Frauen jedoch in gewisser Weise etwas geringer geworden sein. Die besten Spielerinnen der Welt, darunter die Chinesinnen Chen Meng, Liu Shiwen und Ding Ning, verfolgen immer wieder die Taktik, ihren Gegnerinnen mit einem schnellen Spiel am Tisch unter Druck zu setzen. Und die Rückhand ist dafür die beste Waffe.

 

 

Weitere Artikel in dieser Sidespin-Ausgabe:

Erhung von Jacques Secrétin

Tessinerecke: Vereinte Kräfte in der NLC

Wiederaufnahme internationaler Wettkämpfe

STT-Freizeitpass

Very Bad Ping: Der Janosch-Beschuss

Video des Monats: Show Secrétin-Purkart