Das Tischtennis schlüpft in den Diplomatenanzug
Die Weltmeisterschaften in Houston vom 23. bis 29. November 2021 waren Schauplatz eines aussergewöhnlichen Ereignisses. Zwei Mixeddoppel-Paare wurden aus chinesischen und amerikanischen Athleten gemischt, um das 50-jährige Jubiläum der «Ping Pong Diplomacy» zu feiern.
Text: Luca Anthonioz / Fotos: WTT, Historytoday & Xinhua
1971. April 1971, um genau zu sein. Sagt euch das etwas? Und wenn ich folgende Wörter aufzähle: USA, Tischtennis und Diplomatie. Immer noch nicht? Und dies obwohl vor 50 Jahren ein historisches Ereignis die Welt bewegt hat. Japan bereitete sich auf die Ausrichtung der 31. Weltmeisterschaften vor. China nutzte diese Gelegenheit und lud die amerikanische Delegation auf sein Territorium ein. Der Zweck dieses Akts ist mehr politischer als sportlicher Natur. Während die Situation zwischen den beiden Ländern ziemlich angespannt war, ebnete dieses Ereignis den Weg für eine Verbesserung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Das Treffen ist seitdem als «Ping-Pong-Diplomatie» bekannt. Es ermöglichte unter anderem den Besuch des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon in China im Jahr 1972.
Vor einem Monat feierten die USA und China bei den Weltmeisterschaften in Houston das 50-jährige Bestehen der Tischtennisdiplomatie. Im Mixeddoppel nahmen zwei chinesisch-amerikanische Paare am Turnier teil. So spielte die Amerikanerin Lily Zhang (#35) mit dem Chinesen Lin Gaoyuan (#7) und der US-Amerikaner Kanak Jha (#31) mit der Chinesin Wang Manyu (#4). Das erstgenannte Paar gewann übrigens die Bronzemedaille. Für das andere Paar war bereits im Achtelfinale Schluss.
Bei der Generalversammlung der ITTF, die während der Weltmeisterschaften in Houston stattfand, wurde ein neues Präsidium gewählt. Die Schwedin Petra Sörling, die 2018 Weltmeisterin im Damendoppel der Veteranen (45-49 Jahre) wurde, tritt die Nachfolge des Deutschen Thomas Weikert an. Sie ist damit die achte Person, die in dieses Amt gewählt wurde, und die erste Frau. Über die chinesisch-amerikanischen Mixedpaarungen äusserte sie sich wie folgt:
«China und die USA hätten die Macht des Tischtennis nicht besser symbolisieren können, als der Welt zu zeigen, dass wir stärker sind, wenn wir vereint sind. Ich bin dankbar für die Arbeit der ITTF-Stiftung, die sich bemüht, die Tischtennisdiplomatie zu stärken und voranzutreiben. Die vereinende Kraft des Tischtennis ist bei weitem nicht auf die Ebene von Staaten beschränkt. Unser Sport kann alle Arten von Grenzen überschreiten, seien sie physischer, kultureller oder menschlicher Natur.»
Mit diesem Schritt haben China und die USA ein grosses Zeichen gesetzt. Die ITTF ist nicht zum ersten Mal daran beteiligt, wenn es darum geht, der Politik ein Zeichen zu geben. Bei den Mannschaftsweltmeisterschaften 2018 in Halmstad, Schweden, mussten Süd- und Nordkorea im Viertelfinale gegeneinander antreten. Um die komplizierten Beziehungen zwischen ihren beiden Ländern zu kritisieren und ein Zeichen für die Förderung des Friedens zu setzen, beschliessen die beiden Teams, diese Begegnung nicht auszutragen und ihre Mannschaften zu vereinen. Völlig unvorbereitet, genehmigte die ITTF diese Vereinigung in letzter Minute, und das Team «Korea» trat somit im Halbfinale an (Niederlage gegen Japan).
In der gegenwärtig wieder komplizierten Situation zwischen den beiden Mächten USA und China ist eine Vereinigung wie diejenige in Houston zu begrüssen. Wenn Fälle wie der der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai, der derzeit zu Recht Schlagzeilen in den internationalen Zeitungen macht, die internationale Medienaufmerksamkeit erhält, verdienen Aktionen wie diejenige in Halmstad 2018 oder in Houston 2021 eigentlich ebenso die Aufmerksamkeit der Medien. Leider scheint der Einsatz für den Frieden deutlich weniger Präsenz zu erhalten als Situationen, die den Weltfrieden gefährden.
Wie dem auch sei: wir können zufrieden sein, einen internationalen Verband zu haben, der es wagt, Stellung zu beziehen und sich in diese komplexen Probleme einzumischen. Einige werden sagen, dass Politik im Sport nichts zu suchen hat. Sie ist aber zum Beispiel ein fester Bestandteil der Geschichte der Olympischen Spiele. Da die heutige Gesellschaft immer mehr auf politische, ethische oder ökologische Fragen achtet, sehen sich die grossen Sportorganisationen oft mit komplexen Situationen konfrontiert. Dies gilt für das IOC mit dem Fall Peng Shuai (angesichts der Tatsache, dass die Olympischen Winterspiele im Februar 2022 in Peking stattfinden werden), für die FIFA mit der Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 an Katar oder auch für die UEFA mit dem Fall des bunten Münchner Stadions (zur Unterstützung von LGBTQ+ Personen in Ungarn) im Vorfeld des Spiels Deutschland gegen Ungarn im Rahmen der Qualifikation für die EM 2020.
Einige grosse Sportorganisationen halten an ihrer Weigerung fest, politische Stellung zu beziehen. Sie argumentieren, dass sie gemäss ihrem Status politisch neutrale Organisationen bleiben müssen. Zu diesem Zweck üben sie eine neutrale Kommunikation aus und versuchen, möglichst kein Öl ins Feuer zu giessen. Diese Haltung könnte jedoch in Zukunft schwierig zu vertreten sein. Die ITTF hingegen zögert nicht, sich zu engagieren. Umso besser für uns.
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