Tischtennis begeisterter Weltbürger Laszlo Pal ist, 85-jährig, gestorben
Laszlo Pal (1936 – 2021) kam 1956 als Ungarn-Flüchtling in die Schweiz. Er war ein Tischtennisförderer, der in den 1960er und 70er Jahren wesentlich zum Aufstieg der Berner TT-Szene an die nationale Spitze beitrug. Von 1965 – 71 und 1971-73 amtete er als Nationalcoach. In seinem nicht nur aus sportlicher Sicht bewegten Leben widerspiegeln sich politische Grossereignisse wie der 2. Weltkrieg und die Intervention der Sowjets von 1956 in Ungarn. Beruflich führte Pal ein Nomadenleben im Auftrag von im Ausland tätigen CH-Firmen.
Text: Anton Lehmann / Foto: RV
Kriegskind
Laszlo Pals Kindheit in Budapest/Ungarn war durch den 2.Weltkrieg geprägt. Ungarn, das auf der Seite von Nazideutschland kämpfte, wurde gegen Kriegsende eingekesselt und zerrieben. Budapest erlebte ab 1944 schwere Bombenangriffe durch anglo-amerikanische Verbände, an die sich Kriegskind Pal noch erinnern konnte. Nach dramatischem Kampf um Budapest wurden die deutsch-ungarischen Truppen anfangs 1945 von der sowjetischen Roten Armee besiegt.
Auf der Flucht
In Budapest im Oktober 1956, Pal war gerade zwanzig Jahre alt, entwickelten sich studentische Demonstrationen für mehr Freiheitsrechte zu einer Massenbewegung, was zur Absetzung der kommunistischen Regierung führte. Anfangs November intervenierten die Sowjets mit brutaler Waffengewalt, fuhren mit Panzern auf und sorgten dafür, dass eine ihnen genehme Regierung ans Ruder kam. Gleichzeitig wurden die aufständischen Kräfte physisch eliminiert oder verhaftet. In der Folge kam es im November zu einem grossen Exodus aus Ungarn. Pal floh mit seiner Freundin und späteren Ehefrau Erzsi und deren Bruder Sanyi, der aktiv am Widerstand beteiligt war, ins österreichische Burgenland. Dort trafen sie auf eine Delegation des Schweiz. Roten Kreuzes (SRK) mit dessen Hilfe sie in die Schweiz einreisen konnten und unbürokratisch als Flüchtlinge anerkannt wurden.
Integration in der Schweiz
Als Flüchtlinge, die sich gegen das kommunistische Regime gestellt hatten, waren Menschen aus Ungarn in der Schweiz politisch sehr willkommen. Zwischen den Grossmächten fand damals ein ideologischer Konkurrenzkampf statt, es herrschte Kalter Krieg. Die Schweiz stand nicht ganz neutralitätskonform auf der Seite der freien (antikommunistischen) Welt. Dass Pal als damaliger Leichtathlet und seine Partnerin als Basketballspielerin anerkannte Sportler waren, erleichterte die berufliche und soziale Integration in der Schweiz beträchtlich.
Berufliches Nomadenleben
In der Folge arbeitete Pal beruflich für Schweizerfirmen im Ausland. 1974 war er Schweizer Bürger geworden, was seine Auslandeinsätze administrativ bedeutend erleichterte. Last but not least verschaffte ihm die Einbürgerung wieder Zugang zur alten Heimat Ungarn. Das Nomadenleben in der Rolle als Projekt- und Bauleiter begann bei Von Roll-Seilbahnen, führte zur Ing. Maurer AG, dann zum Pharma Multi Roche und endete beim Industriekonzern Holderbank (heute LafargeHolcim). Insgesamt leistete er Arbeitseinsätze in Saudi-Arabien (6 Jahre), in Japan (2 Jahre), in Libyen (4 Jahre), im Irak (2 Jahre), je ein Jahr in den Emiraten und in Zypern. Zu guter Letzt war er acht Jahre in seiner ersten Heimat Ungarn tätig. Dass sich ein solches Nomadenleben auch auf das Privatleben auswirkt, liegt auf der Hand. Immerhin verbrachte er den letzten Abschnitt seines Arbeitslebens in Budapest zusammen mit seiner zweiten (ungarischen) Ehefrau Susy und dem gemeinsamen Sohn Kornel. Mit Stolz erwähnte er, dass er seit jenen Jahren im Besitz von acht verschiedenen Führerausweisen sei.
Tischtennis: regional, national, international
Tischtennis war in Ungarn eine populäre Sportart, die viele Champions hervorbrachte, auch internationale. Pal: „In meinem privaten Umfeld bewegten sich mehr gute TT-Cracks als in meiner damaligen Hauptsportart Leichtathletik. Das veranlasste mich, hie und da den TT-Schläger in die Hand zu nehmen, ohne jedoch ambitioniert Wettkämpfe zu bestreiten. Dennoch nahm ich einiges über diese Sportart auf, verschaffte mir Einblick in die technischen und taktischen Finessen, nicht zuletzt, weil meine Kollegen und Freunde mir auf hohem Niveau Anschauungsunterricht boten.“
In Bern stiess Pal auf der Suche nach einem Club auf den TTC Elite Bern. Nach ein paar Trainings liess er sich lizenzieren. Richtig los ging es, als Vater und Sohn Grimm aus Thun im Training aufkreuzten. „Marcel Grimm, mit viel Talent gesegnet, stieg kometenhaft auf“, erinnert sich Pal noch gut. Das war der Anfang eines eindrücklichen TT-Booms in Bern, der sowohl im Einzel- wie im Teamwettbewerb zu nationaler Dominanz der Berner in den 60er- und 70er-Jahren führte, wozu Laszlo Pal einen nicht unwesentlichen Beitrag leistete. Die besten Pferde im Stall waren für lange Zeit Marcel Grimm bei den Männern und Vreni Lehmann bei den Frauen.
Daneben wuchsen weitere Spieler heran, wie Markus Schmid, die Gebrüder Lehmann, Rolf Grädel, etc. Wenige Jahre später stiess der hochtalentierte Bernard Chatton dazu und etablierte sich sogleich. Bei den Frauen ergänzten Steffi Danioth, Fränzi Weibel und Irma Grimm das Team. „Ich war all diesen hoffnungsvollen Spielerinnen und Spielern offenbar ein zuverlässiger Betreuer und Trainer. Nicht ganz konventionell autoritär , vielmehr als Sparringpartner, Berater, Coach, Begleiter an nationalen und internationalen Wettkämpfen sowie als Organisator von Trainingslagern, z.B. in Magglingen, aber auch im Ausland.”
Die Berner Erfolge blieben auch bei nationalen Verbandsverantwortlichen nicht ohne Resonanz. „So coachte ich 1964 erstmals das Nationalteam mit den damaligen Koryphäen Mario Mariotti, Lajos Antal und Marcel Grimm, um fortan an Welt- und Europameisterschaften stets als Teamchef zu amten . Pausieren musste ich nur gerade in Prag und Moskau, weil ich als Exil-Ungare kein Einreisevisum erhielt.“ In der schweizerischen Diaspora bildeten die ungarischen Emigranten Vereine: politische, kulturelle und sportliche. Auch Laszlo Pal bewegte sich in diesen Netzwerken.
Darüber hinaus entstand ein ungarisches Tischtennis-Netzwerk, in dem Pal eine zentrale Rolle spielte. Es zeichnete sich durch enge Verbindungen zu Ungarn aus, das zu jener Zeit eine TT-Grossmacht war. Infolge dieser Dominanz genossen die TT-spielenden Ungarn in unserem Land fast automatisch einen Bonus, der sie zu TT-Experten stempelte.
Die bekanntesten TT-Ungarn in der Schweiz waren Lajos Antal, später Laszlo Pal und schließlich das Ehepaar Laszlo und Theresia Földy. In ihrem Gefolge taten sich auch weniger bekannte Spieler und Trainer wie Csernay, Olaszy, Viragh, Németh, Kiraly, Horváth, Elekes, Javorka usw. hervor. Auch sie profitierten indirekt vom ungarischen TT-Bonus.
Ungarische Kraftausdrücke aus der Sicht des Berichterstatters
Magyaren, insbesondere Männer, wenn sie sich unbeobachtet wähnen, fluchen häufig wie die Rohrspatzen. Dafür steht ein grosses umgangssprachliches Vokabular an Kraftausdrücken zur Verfügung: Aus heutiger Sicht eine frauenfeindliche Orgie von Fluch- und Schimpfwörtern, die ähnlich wie englische „4-letter-words“ sich ordinär-machohaft der Fäkalsprache bedienen oder tabuisierte Sexualpraktiken verballhornen. Besonders im Training wurden vermeidbare Fehler fluchenderweise kommentiert. Derart häufig, dass wir Jugendlichen uns von dieser schwierigen Sprache primär das Fluchen aneigneten. Auf mehrmaliges Drängen hin wurden uns schliesslich Übersetzungen nachgeliefert, die auf kein Blatt Papier gehören. Als ich 1968, während meines Englandaufenthalts, in einem Londoner Topclub als TT-Sparringpartner trainierte, wurde ich einmal von einem Mitspieler diskret zur Seite genommen. Seine Frage, ob ich Ungare sei, erstaunte mich nur für einen kurzen Moment. Nämlich bis er auf eine ältere Spielerin ungarischer Herkunft wies, die sich ob meiner anzüglichen Sprache schockiert gezeigt hatte.
Was nach Laszlo Pals Abschied zurückbleibt
Laszlo Pals träfe Coaching-Interventionen gehören in die Kategorie der prägenden Besonderheiten. Sich zurückerinnernd, geraten einige Spieler:innen noch heute ins Schwärmen, „für mich war er ein Magier“ (Vreni Lehmann), andere berichten von Angstzuständen, weil sie auf der Gegenseite standen, also zusätzlich gegen Pal anzukämpfen hatten.
Rolf Grädel, ehemaliger TT-Schüler von Pal erinnert sich: „Über 60 Jahre ist es jetzt her, seit mich Laszlo Pal unter seine Fittiche nahm. Er war stets gut gelaunt, hatte ein sicheres Auge für Unzulänglichkeiten, die er so korrigierte, dass du das Gefühl hattest, sofort besser geworden zu sein. Wenn sich dann tatsächlich Fortschritte einstellten, reagierte er mit einer Begeisterung, die dich einfach mitriss, dich zusätzlich beflügelte, um noch mehr zu leisten. Er war ein grossartiger Tischtennis-Trainer – aber auch ein guter Freund. Dass ich als TT-Nobody gegen die ungarische Weltklassespielerin Eva Koczian ein Freundschaftsspiel siegreich beendete – ich zog reihenweise Topspin, immer wieder, wie in Trance – ist nicht zuletzt Laszlo Pal zu verdanken, der mir einbläute, ich könne Koczian schlagen.“
Die aufschlussreichen Gespräche mit Laszlo machte einmal mehr eines deutlich: Pal verfügte über ein phänomenales Gedächtnis. Er war ein wandelndes Lexikon – und zwar nicht nur in Bezug auf die Sportberichterstattung –, ein Lexikon, das nun leider nicht mehr konsultiert werden kann. Als wir uns anschickten, Elemente unserer gemeinsamen Vergangenheit nochmals Revue passieren zu lassen, wurde klar, dass Laszlo Pal Einzelheiten meiner eigenen TT-Geschichte öfters präziser gespeichert hatte als ich…
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