Neue Wege der Talentgewinnung: Das TTVN Mini-Athleten-Projekt

Das Durchschnittsanfangsalter eines europäischen Tischtennisspielers, der es in die Top 10 der Weltspitze geschafft hat, beträgt laut einer Befragung der Stiftung Compass gerade mal 5,8 Jahre. Doch können Kinder in diesem zarten Alter überhaupt schon tischtennisspezifisch trainiert werden? Die Autoren Nina Tschimpke und Oliver Stamler berichten von ihren Erfahrungen im Rahmen des Pilotprojekts im deutschen Tischtennis-Verband Niedersachsen e.V., dem „TTVN Mini-Athleten-Projekt“.

 

Text: Nina Tschimpke, Oliver Stamler, gekürzt von Daria Lehmann.  Ursprünglich veröffentlicht in: „Trainerbrief“, 2/2017

Fotos: TTVN / Trainerbrief  2/2017

 

Die Grundidee des Mini-Athleten-Projekts

 

Noch nie hatten Kinder so viele Spielsachen wie heute, noch nie gab es so viele musische und sportliche Angebote, um Freizeit zu gestalten. Doch gleichzeitig waren Kinder noch nie so arm an Möglichkeiten, sich auf natürlichem Wege motorisch zu entwickeln.SKM C284e17073111520 0001

Die Betrachtung dieser Aspekte brachte uns auf die Idee, als Verband ein Projekt mit Kindern im Kindergartenalter zu starten – mit folgender Grundidee:

  • Ziel: Erschließen eines neuen Alterssegments für den Leistungssport im TTVN (Kinder im Vorschulalter 4-6 Jahre)
  • Bestmögliche motorische Vorbereitung, um Tischtennis zu erlernen
  • Durch Begeisterung eine frühzeitige und langfristige Bindung an die Sportart Tischtennis zu erreichen

Zur Umsetzung der Projektidee stellt insbesondere die Tatsache, mit solch jungen Kindern arbeiten zu wollen, eine neue Herausforderung für uns dar. Sowohl inhaltlich als auch pädagogisch muss ein Programm altersentsprechend für Kindergartenkinder zugeschnitten sein.

 

Motorisches Lernen beim Spielen

 

Erst mit Ende des siebten Lebensjahres ist die Entwicklung der Sinnessysteme weitgehend abgeschlossen. Um motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, muss das Kind auf alle sensorischen Informationen zurückgreifen, die das Gehirn während früherer Aktivitäten gespeichert hat. Diese entstehen vor allem dadurch, dass das Kind aus eigenem sinnhaftem Antrieb aktiv wird – und sinnhaft ist für Kinder hauptsächlich das Spielen.

 

 „Ein Kind lernt beim Spielen. Es spielt jedoch nie, um zu lernen, sondern weil es Freude an seiner Tätigkeit empfindet“ (Renate Zimmer, 2004, S.89)

 

Ein Kind spielt also nicht, um etwas zu erreichen. Das Kind kann aber durchaus von einem Erwachsenen spielerisch gefördert werden.

In Anlehnung an die Mini-Ballschule Heidelberg gibt es drei Spielformen:

  • Freies Spielen: Aus Sportgeräten werden Bewegungslandschaften aufgebaut. Diese sollten so anregend sein, dass die Kinder motiviert sind, sich gänzlich ohne Anleitung mit den Materialien zu beschäftigen.
  • Impulsgesteuertes Spielen: Hier wird die Phantasie der Kinder durch Unterstützung des Trainers angeregt. (Willst Du mal … probieren? Kannst Du es auch so?)
  • Aufgabenbezogenes Spiel: Präzise Vorgaben mit definierten Regeln und Zielen bestimmen das Spielen.

Plant man ein Bewegungsprogramm mit Kindern im Kindergartenalter, ist zu beachten, dass der Anteil an impulsgesteuertem und freiem Spiel deutlich überwiegen sollte.

 

Pädagogische Bausteine

 

Nebst Wissen über die motorische Entwicklung eines Kindes ist für seine Förderung im Bewegungsprogramm ebenso der respektvolle Umgang ein zentraler Baustein. Ermutigung mit dem Ziel, den Kindern Selbstachtung und Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu geben, ist ein weiterer Schlüssel zum Erfolg.

Für den respektvollen Umgang mit den Kindern ist wichtig, ihre Grundbedürfnisse zu kennen und zu beachten (siehe Kasten). Damit kann den Kindern ein Gefühl der Selbstachtung und der Leistungsfähigkeit gegeben werden, welches sich auf ihre sportlichen Fähigkeiten positiv auswirkt.

 

GRUNDBEDÜRFNISSE VON KINDERN

 

Bindung und Zugehörigkeit: Sich geliebt zu fühlen und Teil einer Gemeinschaft zu sein, wie auch die Nähe zu einer Bezugsperson zu haben, ist das größte Bedürfnis eines Kindes. Persönliche Ansprache des Einzelnen in der Gruppe ist dafür ein wichtiges Element.

 

Autonomie und Kontrolle: Nicht hilflos zu sein, sondern durch Handlungsspielraum Einfluss auf eine Gruppe nehmen zu können, befriedigt das Grundbedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. Dies kann z.B. durch die Möglichkeit, eigene Ideen in ein Gruppenspiel einzubringen, gegeben werden.

 

Lustgewinnung/Unlustvermeidung: Das Bestreben schmerzhafte, unangenehme Erfahrungen zu vermeiden und erfreuliche herbeizuführen ist ein weiteres Grundbedürfnis. Wenn sich ein Kind sicher fühlt und keine Angst vor Misserfolgen in der Gruppe hat, kann es Mut zum Wagnis haben und z.B. eine neue sportliche Herausforderung annehmen.

Selbstwerterhöhung und -schutz: Um sich selber gut, kompetent und wertvoll zu fühlen, braucht ein Kind eine wertschätzende Umgebung. Fair behandelt zu werden spielt dabei eine entscheidende Rolle.

 

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Tischtennistraining im Kindergartenalter

 

 „Nehmen Sie mal einen Ball mit 140kmh an, Sie haben eine Millisekunde Zeit…“

Dieser Slogan des DTTB für die kommende WM ist bezeichnend für die besonderen Anforderungen der Sportart Tischtennis. Genau dies muss Berücksichtigung finden, wenn man mit Kindern ein Anfängertraining beginnt, deren Grundentwicklung noch gar nicht abgeschlossen ist.

 

Einige Beispiele sollen zeigen, was man von fünfjährigen Kindern erwarten kann – und was nicht:

  • Nimmt ein Kind zum ersten Mal einen Schläger in die Hand, ist die richtige Schlägerhaltung wohl das erste, worauf der Trainer sein Augenmerk legt. Allerdings behalten die Kinder diese anfangs nur für ein paar Sekunden bei und müssen dann daran erinnert werden.
  • Bei einem fünfjährigen Kind ist es nicht selbstverständlich, dass seine Händigkeit schon festgelegt ist. In den ersten Wochen sollte deshalb ein Wechseln der Spielhand durchaus toleriert werden.
  • Das Tippen des Balles mit dem Schläger ist für Fünfjährige noch eine sehr große Herausforderung, aber zumindest nicht mehr ausgeschlossen, wie für einen 4-Jährigen, der dies nur mit einem Luftballon bewältigen kann.
  • Sidesteps durch die Halle oder um den Tisch können bewältigt werden, wenn das Kind sich auch visuell darauf konzentrieren kann (beispielsweise mithilfe einer Linie auf dem Boden). Die Bewegungen sind aber noch grob; die Kinder stolpern des Öfteren, gerade bei einem abrupten Richtungswechsel.
  • Für das erste Spielen am Tisch gilt es, die Anforderungen möglichst gering zu halten. Es kann von einem Kind auf dem Entwicklungsniveau des Kindergartenalters nicht erwartet werden, gleichzeitig auf die Schlägerhaltung, die Bewegung des Spielarmes, die Beine, die Kraftdosierung und den kommenden Ball zu achten.

Abschließend soll betont werden, dass sich jedes Kind individuell entwickelt. Ein 5-Jähriger kann in Teilbereichen schon die Entwicklung eines 8-Jährigen haben, genauso kann es andersherum sein. Die Individualität eines jeden Kindes sollte also stets im Auge behalten werden, um Unter- und Überforderung zu vermeiden.

Doch eines gilt beim Tischtennistraining für alle Kindergartenkinder: Da Verbesserung nur über stetige Wiederholung der gleichen Bewegungen gelingt, ist es absolut entscheidend, die Begeisterung der Kinder zu erhalten, indem das Training auf spielerische Weise interessant bleibt.

 

 

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