Trainingstipp

Finalrunde Nachwuchs 2021Taktisches Denken: Das Einspielen und den 1. Satz optimal nutzen

Taktik ist planmässiges Vorgehen. Mit den taktischen Mitteln Platzierung, Rotation, Tempo und Flugbahn wird das Ziel verfolgt, den nächsten Ballwechsel und bestenfalls das Spiel zu gewinnen. Wer taktisch clever spielt, erreicht diese Ziele eher als jemand ohne taktischen Plan. Dazu ist es unerlässlich, die Stärken und Schwächen des Gegners wahrzunehmen. Dies beginnt schon vor dem ersten Ballwechsel. Wie das systematisch geht, wird im Folgenden näher beschrieben.

 

Text: Dirk Lion / Foto: Hansruedi Lüthi

 

Von der Wahrnehmung zur Taktik

 

Wir alle nehmen Dinge wahr am Tisch. Eine der schwierigsten Aufgaben im Tischtennis ist es aber, von der Wahrnehmung zur Taktik zu gelangen. Bereits vor dem ersten gespielten Ball nehmen wir wahr: Ist unsere Gegnerin eher gross oder klein, ist unser Gegner eher dick oder dünn, Rechts- oder Linkshänder? Abwehr- oder Angriffsspieler? All diese und viele weitere wahrnehmbare Aspekte sind wichtig – denn sie verraten uns taktische Anspielpunkte bei unserem Gegenüber! Ein Beispiel:

Wahrnehmung: Meine Gegnerin ist Linkshänder.

Taktisches Denken: Vermutlich guter RH-Block, Streuwinkel bei ihrem Aufschlag beachten (etwas mittiger stehen als gegen Rechtshänder), selbst den eigenen Streuwinkel in weite VH der Linkshänderin ausnutzen.

Dies ist ein einfaches Beispiel dafür, dass allein die Wahrnehmung des Gegners dazu führt, bereits ersten taktische Grundkonzepte im Kopf zu haben. Linkshänder spielen sich überproportional häufig mit Rechtshändern ein. Daher entwickelt sie meist eine gute und sichere Rückhand. Dies ist wichtig zu wissen. Hingegen ist der Streuwinkel in weite tiefe Vorhand für einen Rechtshänder gut anspielbar und der Linkshänder kommt in Bewegung. Ob diese Annahmen funktionieren, gilt es im Spiel herauszufinden.

 

Das Einspielen nutzen

 

Auch das Einspielen verrät bereits einige Anhaltspunkte für taktische Spielzüge.

Achten Sie zum Beispiel darauf, ob Ihre Gegnerin den Daumen beim Vorhand-Topspin auf dem Schläger (Rückhandgriff) hat oder im Vorhandgriff Topspin zieht. Beim Rückhandgriff ist der Vorhand-Topspin deutlich schwieriger parallel zu spielen und wird vornehmlich diagonal mit ein wenig Kurve gezogen. Da Tischtennis immer auch Wahrscheinlichkeitsrechnung ist, hilft mir diese Information sehr. Nehme ich wahr, dass mein Gegenüber den Ball angreifen möchte warte ich entsprechend diagonal.

Doch nicht nur der Daumen kann wertvolle Informationen liefern. Auch die Länge der Schlagtechnik oder der tiefe Schlagansatz führen als wahrgenommene Eigenschaften im Idealfall zu taktischem Denken:

Wahrnehmung: Lange Schlagtechniken/Schlagbewegungen

Taktisches Denken: Meine Bälle zweimal mit möglichst hohem Tempo nacheinander auf dieselbe Stelle spielen

Wahrnehmung: Tiefer Schlagansatz

Taktisches Denken: Viele halblange (und kurze) Bälle spielen

 

Der erste Satz: Die Ballwechsel nutzen

 

In den ersten Ballwechseln sollten Sie, neben der Tatsache, Ihre eigenen Stärken zur Geltung bringen, auch immer analysieren, was Ihr Gegner gerne spielen möchte. So sollten Sie z. B.  herausfinden:

  • Was macht meine Gegnerin auf kurze Bälle: Flip oder rein passive Schläge, z. B. Schupf?
  • Was macht mein Gegner, wenn ich ihn lang in Rückhand anschupfe: Rückhand-Topspin, Umspringen zum Vorhand-Topspin oder nur passiv zurückschupfen?
  • Was macht mein Gegner für Aufschläge: Eher lang, eher kurz, eher Überschnitt, eher Unterschnitt?
  • Wie ist die Raumaufteilung meiner Gegnerin: Eher Vorhand-orientiert, eher Rückhand-orientiert?

Aus all diesen Wahrnehmungen ergeben sich für taktisch geschulte Spielerinnen und Spieler sofort taktische Grundmodelle. Dies sind Modelle, die funktionieren können, aber nicht müssen. Dies gilt es dann im Spiel herauszufinden. Gegebenenfalls sind die taktischen Annahmen zu verwerfen und neue zu treffen. Das gehört zum Sport dazu.

Ein weiteres Beispiel aus dem 1. Satz, wo es immer sinnvoll ist, einen der ersten Bälle lange in Mitte/Ellenbogen zu spielen und zu schauen, was unser Gegenüber mit dem Ball macht:

Wahrnehmung: Der Spieler agiert aus Mitte meist mit RH-Topspin („Rückhand-orientiert“)

Taktisches Denken: Nach Anspiel in Mitte über beide Ecken unregelmässig weiterspielen. Kurzer Aufschlag in VH, lang ganzer Tisch weiterspielen

In diesem Fall stellen wir fest, dass unser Gegner aus Mitte gerne mit Rückhand spielt und dazu einen Sidestep in Mitte macht. Dies führt dazu, dass er zu einem nächsten Ball in eine der beiden Ecken nicht allzu gut steht. Dies sollten wir taktisch ausnutzen!

 

Fazit

 

Bereits vor dem ersten Ballwechsel, während dem Einspielen und nach den ersten gespielten Bällen verfügen wir in aller Regel über genug wahrnehmbare Informationen, um eine angemessene Taktik zu entwickeln. Ob diese dann funktioniert, gilt es im Spiel herauszufinden. Schlimmer als einen Plan zu haben, der sich als falsch herausstellt ist es nämlich nur, gar keinen zu besitzen.

 

 

Weitere Artikel in dieser Sidespin-Ausgabe:

NLA Superfinal

Moret qualifiziert sich für die OS

Tessiner Ecke (Teil 2/2)

Arbeitsgruppe STT

Very Bad Ping: In Topform

Video des Monats: Lionel Weber bei der EM in Warschau