Dieter Lippelt und Dirk Siepmann haben soeben ein dreisprachiges Wörterbuch Tischtennis und allgemeine Sportsprache betreffend veröffentlicht, das in seiner Art einzigartig sein dürfte (bisher existierten nur stark begrenzte Glossare bzw. Wortlisten): 5000 Wörter und Wendungen mit englischen und französischen Übersetzungen, zahlreiche Wortverbindungen und Beispielsätze, eine ausführliche sprachgeschichtliche und sprachwissenschaftliche Einleitung zur Tischtennissprache. STT traf sie, um mehr über ihr Projekt zu erfahren
Text: Raouf Morsi / Fotos: Dirk Siepmann
Können Sie sich selbst präsentieren?
Dieter Lippelt: Ich habe sieben Jahre lang in der Bundesliga und ein Jahr in der höchsten französischen Liga gespielt und wurde 1968 deutscher Mannschaftsmeister mit dem VfL Osnabrück. Darüber hinaus bin ich siebenfacher Seniorenweltmeister. Vor meiner Pensionierung unterrichtete ich Französisch und Geographie an mehreren deutschen Gymnasien und war Lehrbeauftragter für Physische Geographie an der Universität Osnabrück. Ich habe ein deutsch-französisches Wörterbuch der Geographie sowie mehrere andere Veröffentlichungen verfasst, darunter zwei Science-Fiction-Romane. Erwähnenswert ist vielleicht auch, dass ich eine der größten Tischtennisballsammlungen der Welt besitze (über 8.500 verschiedene Bälle).
Dirk Siepmann: Ich bin Professor für Fachdidaktik des Englischen an der Universität Osnabrück, aber auch leidenschaftlicher Romanist und natürlich Tischtennisspieler. Während meiner Studienzeit habe ich in England für die Universität Durham (Nordengland) gespielt und eine Bronzemedaille im Herren-Einzel bei den britischen Studentenmeisterschaften gewonnen; in Frankreich habe ich ebenfalls in meiner Jugend einige Tischtenniskontakte geknüpft und das ein oder andere Turnier gewonnen. In Deutschland war ich längere Zeit in der Verbandsliga (oberes Paarkreuz) aktiv. Ein Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind Grammatikographie und Lexikographie; eine gewisse Bekanntheit haben in Deutschland mein Wörterbuch Hochschule und mein Wörterbuch der allgemeinen Wissenschaftssprache erlangt, letzteres wurde z.B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung positiv rezensiert.
Was hat Sie dazu inspiriert, dieses Wörterbuch zu erstellen, und wie haben Sie mit dem Projekt begonnen?
Da kamen mehrere Dinge zusammen: einerseits das Eintreffen zahlreicher aus der Ukraine geflüchteter Spieler, mit denen die Verständigung verbessert werden sollte (wobei sich allerdings hinterher herausstellte, dass ihr Englisch eher schwach ausgeprägt war), andererseits das Vorhandensein zweier Sammlungen: Dieter hatte in seiner Zeit als Zweitligaspieler der Spvg. Niedermark in den 1980er Jahren Mannschaftskameraden aus dem Vereinigten Königreich und legte zwecks Verbesserung der Verständigung einen Zettelkasten (Schuhkarton) mit englischen Fachbegriffen an, die er vor allem aus seiner Lektüre einschlägiger Tischtennisliteratur speiste. Dirk hatte während seiner Studienzeit in England sämtliche Wörter und Wendungen notiert, die er während des Trainings oder bei Wettkämpfen aufschnappen konnte. Bei einem ersten Treffen – und kleinem Match –im Jahre 2017 haben wir uns dann über die gemeinsame Liebe zur Sprache und andere von uns betriebene Wörterbuchprojekte ausgetauscht. 2022 schließlich überreichte Dieter Dirk ein Exemplar seines beeindruckenden Wörterbuchs der Geographie (Deutsch-Französisch). Daraus erwuchs die Idee, Dieters Zettelkästen und Dirks Notizen aus dem Studium zusammenzuführen und mit der in der Zwischenzeit aufgeblühten Computertechnik (sogenannte korpuslinguistische Methodik) die Sammlungen zu überarbeiten und zu vertiefen.
Wie lange haben Sie gebraucht, um das Wörterbuch fertig zu stellen, und was waren die größten Herausforderungen, die Sie dabei bewältigen mussten?
Begonnen haben wir die Arbeit im April 2022, der Wörterbuchtext war eigentlich im Dezember 2022 dann fertig, aber es gab seitdem noch kleinere Arbeiten zu erledigen wie z.B. Genusangaben, die von Dirks Tochter Alexandra (12) erledigt wurden. Eine große Hürde am Anfang des Projekts war die Zusammenstellung der Korpora. Dazu hat Dirk, wiederum mit Hilfe von Alexandra, Sprachdaten aus TT-Foren sowie Zeitungen und Zeitschriften heruntergeladen; so entstanden Korpora von unterschiedlicher Größe für die beteiligten Sprachen (ca. 100 Millionen Wörter für Deutsch und je ca. 60 Millionen für Englisch und Französisch), die wir dann mit einer computergestützten Analyse ausgewertet haben. Zu den schwierigsten Aufgaben gehört natürlich die Ermittlung der Übersetzungsäquivalente. Am einfachsten gestaltet sich das noch, wenn man z.B. passende Adjektive zu bestimmten Substantiven sucht (sog. Kollokationen); man geht z.B. von der Wortverbindung „angetäuschter Topspin“ im Deutschen aus und sucht dann im französischen Korpus nach Adjektiv-Substantiv-Verbindungen mit gleicher Bedeutung (also z.B. „faux topspin“). Schwieriger wird es bei idiomatischen Ausdrücken, bei denen wir manchmal recht mühselig Videos angeschaut oder Fachtexte (Bücher oder Zeitschriften) gelesen haben, bis wir den passenden Ausdruck fanden, z.B. das französische Verb „écarter“ für den deutschen Ausdruck „(tief) in die andere Ecke spielen“.
Wie sind Sie bei der Auswahl der Wörter und Definitionen vorgegangen, die Sie in das Wörterbuch aufnehmen wollten, und gab es Wörter, deren Definition oder Einordnung Ihnen schwerfiel?
Bei der Auswahl der Stichwörter haben wir zunächst die beiden bereits erwähnten Sammlungen zugrunde gelegt und diese systematisch von A-Z abgearbeitet, dabei aber gleichzeitig Material aus den Korpora ergänzt. Wenn z.B. in den Sammlungen nur das Wort „Abstieg“ vorkam, haben wir sämtliche typischen Komposita ermittelt und übersetzt, also z.B. „Abstiegsduell“, „Abstiegsgefahr“, „Abstiegsstrudel“. Die Definition der Wörter war eigentlich kein Problem, da man auf Regelwerke, Kataloge u.ä. zurückgreifen kann. Schwieriger war häufig die Äquivalentfindung, manchmal fehlte uns über Wochen ein Äquivalent in einer der beteiligten Sprachen, bis wir es durch den Zufall der Lektüre oder durch geschickte Korpussuchen dann ermitteln konnten.
Einerseits zentral und andererseits besonders schwierig ist die Beschreibung von Bewegungen: das betrifft einzelne Wörter wie das bereits genannte „écarter“ oder auch „déporter“ und „se dégager“, aber vor allem auch komplexere Beschreibungen von Bewegungen, wie sie in Beispielsätzen erfasst sind: im Deutschen und Englischen kann man z.B. sagen „der Blog fliegt über das Netz auf die andere Seite“, im Französischen geht das nicht, es muss heißen „la balle passe le filet pour atterrir dans le camp adverse“, man benötigt also einen Infinitivsatz. Für Deutsch- und Französischsprachige wiederum ist die Beschreibung der Vor- und Zurückbewegung am Tisch im Englischen als „in and out movement“ verwirrend, als würde der Tisch einen Raum darstellen, den man betritt.
Welche Quellen haben Sie bei der Erstellung des Wörterbuchs konsultiert, und wie haben Sie sichergestellt, dass die enthaltenen Informationen korrekt und aktuell sind?
Auf die elektronischen Korpora haben wir ja bereits hingewiesen. Sie enthalten digital verfügbare Ausgaben von Tischtenniszeitschriften, Presseberichte sowie Tischtennisforen. Darüber hinaus haben wir „manuell“ Tischtennisfachliteratur in den drei Sprachen durchforstet und Trainingsvideos und Spielkommentare auf Youtube und im Fernsehen ausgewertet. Gerade die Berücksichtigung von YouTube sollte höchstmögliche Aktualität gewährleisten; die Korrektheit wurde zusätzlich dadurch gesichert, dass die Einträge eine bestimmte Vorkommenshäufigkeit im Korpus aufweisen mussten. In Zweifelsfällen haben wir außerdem auch noch Sprecher der beteiligten Sprachen (z.B. Schiedsrichter) konsultiert.
Haben Sie bei der Erstellung des Wörterbuchs mit anderen Experten oder Linguisten zusammengearbeitet, und wenn ja, welche Rolle spielten diese bei der Arbeit?
Nein, abgesehen von der Mitarbeit von Dirks Tochter, die bei der Erstellung der Korpora und anderen eher technischen Arbeiten mitgearbeitet hat, haben wir uns allein auf unsere eigene lexikographische und sportliche Erfahrung gestützt.
Was sind die besonderen Merkmale dieses Wörterbuchs, die es von anderen auf dem Markt erhältlichen Wörterbüchern abheben, und inwiefern wird es Ihrer Meinung nach für die Leser nützlich sein?
Es handelt sich um die erste ausführliche mehrsprachige Dokumentation der Tischtennissprache, die sich nicht auf Einzelwörter beschränkt. Stattdessen bieten wir den Lesern detaillierte Informationen auch zu Wortverbindungen, also z.B. eine weite Ausholbewegung, sich den Titel sichern, gut im Klein-Klein sein u.ä. und betten viele Wörter in typische Beispiele ein, manchmal auch in historischen Beispielen, die bestimmte Spielertypen kennzeichnen; so fiel uns für das Wort „Konzentrationsfähigkeit“ kein besserer Repräsentant als Eberhard Schöler, der Vizeweltmeister von 1969, ein: Mit seiner Unerschütterlichkeit am Tisch, seiner außergewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit und seinem ausgeprägten Sinn für Fairness dominierte Eberhard Schöler in den 1960er Jahren das deutsche Tischtennis. Wir ergänzen in gewisser Weise auch die vorhandenen zweisprachigen Großwörterbücher, die auch heute noch z.B. kein brauchbares Äquivalent für ein Verb wie ausspielen enthalten: weder frz. feinter (Langenscheidt; = [an-]täuschen) noch se jouer (de qqn) (PONS = leicht besiegen) entsprechen der Bedeutung des deutschen Wortes. Da liegt Langenscheidt mit dem eher schriftsprachlichen englischen Übersetzungsvorschlag outmanoeuvre schon richtiger, aber typische in unserem Wörterbuch verzeichnete Entsprechungen wie engl. force an error from sb oder put (whack, smash, …) the ball past sb bzw. frz. faire faire une faute à qqn (oder faire fauter qqn), trouer qqn oder mettre hors de portée de la balle findet man in allgemeinsprachlichen Wörterbüchern nicht, und sie lassen sich auch nicht durch Übersetzungstools wie DeepL oder Google Translate ermitteln.
Gibt es bestimmte Wörter, Definitionen oder Übersetzungen im Wörterbuch, auf die Sie besonders stolz sind oder von denen Sie glauben, dass die Leser sie besonders interessant finden werden?
Mit dem Stolz ist das immer so eine Sache. Vielleicht wäre da in erster Linie der ausführliche historisch-sprachwissenschaftliche Überblick über die Tischtennissprache im Vorspann des Wörterbuchs zu nennen, den Dirk verfasst hat. Ansonsten ist es vor allem die bereits angesprochene Entdeckung neuer Äquivalente zwischen den Sprachen, die einen wenn nicht stolz so doch zumindest froh machen kann. Z.B. hatte noch kein Wörterbuch für das dt. Kopf-an-Kopf-Rennen, auf Tischtennis angewandt, die Äquivalente see-saw (affair/match/struggle) oder chassé-croisé. Im technischen Bereich wäre z.B. frz. armé (als Substantiv) zu nennen, das bisher niemand als Äquivalent zu Ausholbewegung identifiziert hatte. Gleichzeitig ergeben sich dann natürlich interessante Synonymreihen, wie z.B. l‘armé, le mouvement de préparation, la préparation, l’élan (arrière), la prise d’élan usw. Ein weiteres Beispiel für solche Synonyme, die erst in einem Spezialwörterbuch erschöpfend aufgezählt werden können, wären die zahlreichen Äquivalente für schlagen/beat/battre, also besiegen, bezwingen, plattmachen, abfertigen, überrollen, auseinandernehmen usw. mit ihren jeweiligen Äquivalenten. Hier können z.B. Journalisten aus dem Vollen schöpfen.
Welchen Nutzen erhoffen Sie sich von der Benutzung des Wörterbuchs, und haben Sie Pläne, es in Zukunft zu aktualisieren oder zu erweitern?
Wir denken an verschiedene Nutzergruppen: primär natürlich Tischtennisspieler, Offizielle und Journalisten, die sich in zwei oder mehreren Sprachräumen bewegen. Darüber hinaus aber auch Sprachinteressierte, die ihre Kenntnisse der Sportsprache erweitern wollen. Selbst für Anfänger in unserem Sport verspricht das Buch einen Nutzen, indem es bestimmte grundlegende Wörter der Tischtennissprache definiert.
Die Aktualisierung oder Erweiterung des Wörterbuchs wollen wir ein bisschen davon abhängig machen, wie viel Anklang es findet. Letztlich war und ist es aber eine Herzensarbeit und wir denken schon jetzt ein wenig über eine Erweiterung in Richtung anderer Sportarten nach (vielleicht zunächst Fußball und Tennis). Natürlich versuchen wir auch, das Wörterbuch immer auf dem neuesten Stand zu halten, was durch die Publikation bei Amazon problemlos möglich sein sollte. Wir freuen uns über jede Zuschrift zu Ergänzungs- und Verbesserungsmöglichkeiten, insbesondere auch, was den Schweizer Sprachgebrauch angeht.
Das Buch ist in drei Versionen erhältlich; die elektronische Version mit Volltextsuche in der Kindle-App bieten wir dabei zum günstigstmöglichen Preis an: CHF2,97